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TESSIN

Als ich im April 1964 auf der Durchreise nach Italien in Ascona Station machte, war ich wieder verzaubert. Der kleine Hafen an der Piazza ich wurde elegisch malte ich doch vor 34 Jahren hier diese Sachen ab. Es war alles irgendwie anders. War es die "Vorsaison"? Es war kühl, und leichter Regen fiel in Abständen. Als ich aber im Cafe Verbano nach "alten Erlebnissen" suchte, war alles wie weggelegt. Dazumal, im Jahre 1930 war das Cafe der Treffpunkt aller musischen Menschen. Ich war jeden Tag dort, und jeden Tag lernte ich einen verehrungswürdigen Menschen kennen. So kam es zu einer Freundschaft mit dem Pariser Bildhauer Cogan. Die Werefkin erzählte aus früheren Jahren von ihr befreundeten Künstlern. Die Düsseldorfer Maler waren in großer Zahl hier und aquarellierten nach Düsseldorfer Art. Es ging ohne sonderlich gezierte "Vorstellung" der Anwesenden im Verbano ab es war wie eine große Künstlerfamilie. Aber die "Fehde" eine bewegliche junge Frau, die damals mit geradezu genialer Weise alle Künstler, Schriftsteller, Tänzer und Musiker individuell begrüßte und bewirtete, wurde von allen Gästen gefeiert. Viele Künstler, unter andern Rohlfs, Emil Ludwig, sah ich auf den Straßen und am Strand, aber ich lernte sie nicht kennen. Aber Helmut Macke, der gute Maler und Vetter von August Macke war am Lido. Eine ältere Dame erzählte mir von ihrem Helmut. Als ich sie fragte, ob er der Verwandte von August sei, rannen Tränen in Strömen. Ich verstand sie und ich musste an mich halten, um nicht in Schluchzen auszubrechen.

Der Naturapostel Karl Vester, der auf Monte Veritä der letzte Lebende der "Rückkehrer zur Natur" war, wurde mein Freund. Immer wenn ich zu ihm hinaufstieg, brachte ich Würstchen mit, die wir miteinander verzehrten. Er hatte sich vom "reinen" Vegetarismus entfernt, genau wie ich. Was er mir von den Anfängen auf Monte Veritä erzählte, fesselte mich. Wurde doch auch Baron von der Heydt von ihm angesteckt. Leider sah ich den Baron nur unter einem unwahrscheinlich großen, tiefroten Sonnenschirm spazieren gehen. Aber seine Sammlung im Hotel Monte Veritä fesselte mich. Im Eingang zum Hotel gab es Originale großer Franzosen wie Matisse und andere auch gab es originale chinesische Bronzen; es verzauberte mich auch dieses einzigartige Hotel, welches auf dem Grund der einstmaligen Naturapostel errichtet wurde. Ich malte im Freien in Ascona, Ronco, Brissago. Mein Streben dazumal? Ich machte "Formschlüssel" vor der Natur. Es folgten "Farbschlüssel". Beide "Schlüsselskizzen" heftete ich an meine Staffelei. Diese theoretischen analytischen Schlüssel brachte ich in Gegenwart der Natur zu einer mir eigenen Synthese auf die Leinwand. Bei dieser Arbeit überraschte mich die Malerin Werefkin, die von diesem komischen Vorgehen beeindruckt war. Wussten wir doch alle, dass sie sowohl wie Schmidt Rottluff und andere nur Kurznotizen machten, die sie dann in ihren Ateliers zu Hause aus der Farbe entwickelten. Ich war reichlich bepackt, als ich die Heimfahrt antrat, unter den Klappmalbrettern befand sich die so genannte schwarze Ascona-Landschaft.
Die Heimfahrt bezauberte mich genauso wie die Hinfahrt. Aber mich verfolgte der Wahlsieg (den ich in Ascona vernahm) der Nazis im Deutschen Reichstag. So musste ich daheim mit den Nazis mein künftiges Leben versuchen durchzustehen. Aber meine Ascona-Bilder brachten Freude ins Haus, auch Mammon, da ich verkaufte, und ich vergaß den Nazi Rummel für einige "wenige" Jahre.



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Letzte Änderung: 20.11.2002 | Copyright: Max-Ackerman-Archiv

 

Zitat

"Ich male, was ich muß!"
Max Ackermann

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Ascona 1930



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