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ROM - ISCHIA

10. April.

Ich bin in Rom. Welch merkwürdiger Zauber ging mir früher immer vom Wort "Rom" aus. Jetzt bin ich mitten in Rom und kann es nicht fassen. Wie kommt es nur, daß Rom so eine geheimnisvolle Sache ist? Ich will das Geheimnis nicht lüften. Aber ich will Rom einigermaßen kennenlernen, um klarer zu sehen. "

21. April.

Hier bin ich daheim. Hier finde ich die Sehnsüchte meiner Kindheit erfüllt. Was Wunder, daß mir meine Pastelle von der Hand gehen.

6. Mai.

Mittwoch. Die Tage gehen heiter dahin. Es geht uns gut. Stimmung ist prächtig, die Arbeit fließt. Meine Freudenthemen im Wechsel mit Mammutformbildern. Der Gegensatz reizt mich; das eine (heiter froh akzentuiert dynamisch) das andere (statisch gewaltig) steigern sich gegenseitig. Ich lege sie nebeneinander, vergleiche sie und bin sehr beglückt.

8. Mai.

Wir laufen an der Vatikanmauer entlang und besuchen die Skulpturensammlung. E. schweift ab; ich bin allein bei den Ägyptern. Wie soll ich diesen Eindruck beschreiben? Als ich zur Besinnung kam, lief ich weiter, der Lichthof tat sich auf, von Ferne schon trat mir der Laokoon vor Augen. Der Apollo von Belvedere, der Schaber, der meine Kinderzeit im Gipsmodell begleitete ich war erregt und beglückt. Ich eile rasch zurück zu den Ägyptern, bin erneut benommen, springe zum Laokoon und so einige mal hin und her. Diese Vergleichsmöglichkeiten machten mich erregt. Dann kamen die Etrusker, die Urnen und ihre Bilder sind so schön, so vollendet, daß einem das Herz aufgeht. Da wurden Erinnerungen wach. In München eilte ich auch sehr oft zur Alten Pinakothek, um mich an den etruskischen Vasenbildern zu schulen. Ägypter, Laokoon, Etrusker im Wechsel da konnten nur die Ägypter übrigbleiben die schwarze königliche Frau mit dem majestätischen Haupt. Warum staken diese herrlichen Skulpturen im dunkelsten Winkel des Vatikans? Ich durchlaufe die langen Skulpturengänge und finde da allerlei Bekannte. Der Mann mit dem Kindlein im Arm, Satyrknaben und Wein"götter" Schlafende Ariadne, Grazien. Unter den Portraitbüsten sind gute Sachen, sie können aber mein Interesse nicht wecken, da ich eben andere Welten erlebte. Ich eile fort und lande bei den Stanzen Raffaels. Nur einen ersten flüchtigen Besuch konnte ich machen, da die Zeit verstrichen war. Mit Ernst zurück zu den Ägyptern, wir sind trunken vor Glück. Die Stele mit abstrakten Ornamenten fesselt uns, wir sind erstaunt, daß so etwas vor mehreren tausend Jahren gestaltet wurde. Wir gehen zum Essen, wir benötigen gründliche Ruhe.
Anschließend caffè latte am Petersplatz. Ich sehe den Petersplatz mit Kuppel zum erstenmal am "Eingang" zum Platz, da, wo die riesigen Kandelaber stehen. Ernst photographiert, ich spaziere im Säulengang hin und her. Zum Bus 62, bald daheim schwatzen wir vom Erlebnis "Ägypten".

 

19. Juni

Ernst und ich suchen nochmals das Kapitol auf. Sonne ermöglicht es uns, auch dunkle alte Bilder gut zu sehen. Der große Veronese: Raub der Europa ist ein prachtvolles Bild. Ich suche Komposition auf und bewundere die Hell DunkelFührungen. Die stille Farbe ist edel und wohltuend. Tizian: Die Taufe Christi, ein kleines Bild, ist sehr vollendet. Die Tintorettos im vollen Licht sind heute noch schöner. Wir halten uns sehr lange in diesem Raum auf ich versuche die Kompositionen nachzugehen. Die hellen Silhouetten auf Dunkel sind in beste Beziehungen gebracht. Es fließt alles: Hell, Dunkel, Farben. Unter den Skulpturen sind so viel Kleinode, daß ich sie nicht alle genug würdigen kann: Freilich ist die Aphrodite im Sondersaal sehr "fleischnahe" sie ist aber so edel und harmonisch, daß ich das Fleisch übersehe. Ich stehe lange an geöffneter Fenstertür und überschaue die Ruinen. Links in Ferne das Kolosseum. Die Triumphbogen hatten Beziehung zu einander. Säulen, Tempelreste, wie merkwürdig das alles. Die strahlende Sonne stand über "allem" sie war, ist und bleibt. Die Menschen mit ihren Wohnstätten, Tempeln gingen alle dahin. Satyrknaben sie hatten immer genügend Trauben. Die Panflöte, die Centauren erinnern mich an Böcklin. Die straffe Männlichkeit in diesen Marmorbildern ist doch erhebend, die Frauenleiber ohne irgendwelche Anspielung fast feierlich. Ich bin hier ganz daheim. Vor 60 Jahren wollte ich es der Klassik gleichtun. Ich mußte stranden, wie alle Bildhauer, die im Banne von Athen sind. Mein Leben ging dahin. Jetzt bleibt mir nur noch, in meiner autonomen Malerei soviel Erhabenheit, wie sie die Klassik zeigt, zu erringen. Wieder sind es Philosophenköpfe, die mich gefangennehmen. Das Reiterstandbild wird immer schöner. Die Maße, die Form, die herrliche Patina. Das Ölbild und die Büste von Michelangelo bringen mich Michelangelo sehr nahe. Wie erschütternd der Schmerz, der aus diesem Portrait spricht. Etrusker machen mich heiter ach so viel Können ist einfach unerhört und das vor 1000 Jahren vor Chr.

30. Juni

Abschied von der Villa Massimo in Rom. Auszug aus Rom ist ein erschütterndes Wort. Neapel liegt im leichten Gewitternebel da, es wird heller und Neapel erglänzt. Diese Stadt vom Schiff aus ist herrlich gestaffelt sie dehnt sich am Strand entlang, die hellen Häuser mit Flachdächern im Sonnenschein sehr bezaubernd. An Felsbrocken vorbei, rechter Hand sehr schönes Landschaftsbild mit rauchenden Fabrikschloten in der Mitte. Meer offen, zur Linken neue Inselblöcke mit gewaltigem Kastell. Einfahrt in Porto d'Ischia. Getriebe im farbigen Hafen. Fahrt nach Casamicciola wie liegt dieser Ort lieblich da.

19. Juli

Abendspaziergang Richtung Epomeo. Mond über Spitze des Epomeo, Sonnenball über stille weiße Häuser. Ich vergleiche den Epomeo mit Pico de Teyde von Teneriffa. Wie verschieden müssen die Eruptionen gewesen sein. Der gewaltige Pico beherbergt in einer Höhe von 2500 Meter Schlackenfelder, die waagrecht liegen. Ausgeglühte Schlacke hier war es anscheinend Müll. Die Substanz der Erdrinde muß verschieden gewesen sein, denn der Endeffekt des Feuerspeiens war verschieden. Neben dem Teyde ist der Epomeo sanft und lieblich. Es war ein Abend voller Schönheit. Wir malten in der Vorstellung wieder die gestuften orientalischen Häuser als geschachtelte Kisten und Kisten, weiß angestrichen mit einigen lichtfarbigen Akzenten. Dazwischen melodische Hügelwälder einzelne Pinien eine solche stand solo für sich so schön, daß wir in Bewunderung ausbrachen.

20. Juli

In fünf Monaten habe ich die Mondsichel gesehen und ihre Entwicklung. Im März stand die Sichel über dem Schwarzwald in Fürnsal. Im April stand sie zart über den Zypressen im Garten der Villa Massimo zu Rom. Hier sah ich sie dann im Mai und Juni und jedes mal war ich erschüttert. Jetzt steht der Mond über dem Epomeo auf Ischia. Jetzt nimmt der Mond zu, und wenn wir abreisen, werden wir ihn "voll" über uns haben.

Max Ackermann, Tagebuch 1964



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Letzte Änderung: 20.11.2002 | Copyright: Max-Ackerman-Archiv

 

Zitat

"Ich male, was ich muß!"
Max Ackermann

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