Lebenswerk - Max Ackermann als Künstler und Mensch


Max Ackermann als Künstler und Mensch von Ludwin Langenfeld

Ich lebe mein Leben in wachsenden Ringen, die sich über die Dinge ziehn.
Ich werde den letzten vielleicht nicht vollbringen, aber versuchen will ich ihn.

Diese Worte aus dem Anfang von Rilkes "Stunden Buch" könnte man auch über das künstlerische Werk und das Ethos der Persönlichkeit Max Ackermanns setzen. Das malerische Werk, von dem hier vorwiegend die Rede sein soll, entfaltet sich in einer Reihe von Themen, die sich zeitlich weniger abgrenzen als überlagern. Die ersten gegenstandslosen Studien entstehen 1918 unter dem Einfluss der Theorien Adolf Hölzels, dessen letzter und wie wir glauben größter Schüler Max Ackermann war. Der beste Hölzel Kenner, Wolfgang Venzmer, räumt Max Ackermann neben Ida Kerkovius eine "Sonderstellung" im Kreise jener "Gruppierung von Freunden, Schülern und Verehrern, die sich um den alten Meister geschart hatte" ein. Aber schon bald ging Ackermann, dem die Bildlehre Hölzels immer unterschwellig gegenwärtig blieb (wie er ebenso bis in seine letzten Lebenstage von seiner bedingungslosen Verehrung für den Meister nicht abwich "sehen Sie sich doch nur diesen Kopf an!" ) selbständig weiter und über Hölzel hinaus. In den zwanziger Jahren entstehen sozial anklagende Bilder, deren bedeutendstes, die "Inflationskinder" von 1923, sich in der Stuttgarter Staatsgalerie befindet. Ackermanns Anklage ist nie ätzend wie diejenige etwa von Otto Dix oder George Grosz, sie bleibt immer in einer Sphäre des Humanen, wie sie überhaupt dem Wesen Ackermanns, der nie das "Ekelhafte" malte, eignete. Um 1930 entstehen erste autogene Gestaltungen, die insbesondere dem Erlebnis der Landschaft des Bodensees verhaftet sind. Wer je das Glück hatte, einen der typischen Sonnenuntergänge am See, nach der Höri zu, zu erleben, wird viele Bodenseebilder Ackermanns intensiver verstehen. Ein Prozess setzt ein, der das Gesehene: die schier unglaubliche Farbmusik des weiten Himmels, den stillen Frieden dieser nur von Kuckucksrufen unterbrochenen arkadischen Landschaft u n d den menschlichen, meist fraulichen, meist badenden Körper in dieser Landschaft in einer lyrischen Stilsynthese künstlerisch verwandelnd zusammenfasst. In den späteren "Flugreisebildern" fängt Ackermann auf dem Flug nach Teneriffa 1957 damals flog man noch nicht gerade, wie heute, zum Wochenende dorthin mit strengerer, gebändigterer Hand Impressionen von Land Meer Formationen und Hafenanlagen ein. Jubelnd und mit leisem Seitenhieb auf manche Nachahmer (wir werden zum Schluss davon sprechen) schreibt er: "Ich bin durch meinen längeren Aufenthalt auf Teneriffa in die glückliche Lage versetzt, keine, Anregungen' in Völkerkunde und Frobenius holen zu müssen. Ich brauche keine alten, Urzeichen' nachzumachen, um mit ihnen ein mythenentleertes Spiel zu treiben. Denn: ich war dabei, ich war dabei." Ackermann wird zum Meister des stets unfixierten Pastells, die dominierende Farbe ist das kosmische Blau. "Ein Blick über das blaue Meer und das Herz ist erquickt. Übertrage ich dieses Meerblau auf eine gegebene Fläche von Bildrand zu Bildrand, so ist etwas Wohltuendes geschehen. Schließe ich diese blaue Fläche im Sinn des Kontrapunkts auf, so habe ich ein in sich bewegtes Blau. Unser Auge fordert das Komplement Orange, welches die Spaltprodukte Zitronengelb und Hochrot hergibt. Sind diese atomisierten Akzente organisch dem Blau einverleibt so habe ich ein Lob auf das Blau gesungen." Von seinem Gastaufenthalt in der Villa Massimo in Rom bringt er 1964 an die hundert "Römische Pastelle" mit. Es bleibt mir unvergessen, wie er sie mir als Erstem zeigte: Stück für Stück eigenhändig (eigenknieend!) aus der Truhe zu Boden legend, damit ich sie im Stehen von oben betrachten konnte, der 77-jährige neben mir im ganzen Stolz auf seine "Arbeit". Jetzt heben sich musikalische Bildthemen heraus, sogenannte "Klangzeichen". Sie suggerieren mit den Elementen der Notenschrift Hymnisches und Heiteres, ihre Titel sind "Entschwebende Klänge" oder - oft - "An die Freude". Dazu kommt (wie übrigens auch in den Zeichnungen, die in ihrer Thematik dem malerischen Werk parallel laufen) das Thema der "Mondfrau" als kosmischer Gestirnsgöttin. Formen von Musikinstrumenten (Cello) identifizieren sich mit weiblichen Körperformen, das Wellenband herabfallenden Haares und die Aureole leuchtender Kerzen verbinden Lunarisches und Orphisches zu eigenständigen und kunstgeschichtlich einmaligen formsurrealistischen Kompositionen, einer Art Sphärenmusik. Seit etwa 1950 heben sich zwei Themenkreise besonders heraus: der des "Farbturms", Signum des Emporstrebens, des Stehens schlechthin, und besonders das ureigene Ackermann Thema der "Überbrückten Kontinente", mit seiner humanen Gestik des Zueinander, des Verbindenden und Überbrückenden. Zwei großflächige Farbformen ("Kontinente") werden gegeneinander gesetzt und durch ein lyrisches Linienspiel ("Riegelthema") oder, später, durch einen schmalen Raumkanal, eine Land-Farb-Brücke, miteinander verbunden. (Das berühmteste Bild, der Prototyp dieses Themas, ehemals in der Sammlung Domnick, s. Abb. rechts, 1954 gemalt, schmales Hochformat, hängt in dieser Ausstellung.) In den letzten Bildern dieser Stufe verschmelzen die beiden Kontinente in einen einzigen, farblich vom Gesamtgrund kaum noch abgehobenen Innenraum ("heilige Fläche"), nur noch durch eine schmale farbliche Kontrapunktik an den Bildrändern belebt. Immer mehr verbindet Ackermann mit seinen Bildern eine metaphysische Aussage (s. Abb. Seite 9 und Seite 13). Die pure Hymnik einer Weltraummusik bezieht jetzt bewusst die neuen Erkenntnisse der Physik in ihr Repertoire ein, ohne die kosmische Frömmigkeit aufzugeben ("Ich bleibe Hymniker!"). Zu Franz von Assisi gesellt sich Albert Einstein. Wir sehen: das Waage Thema als Symbol der sich in die Ruhelage einpendelnden Kräfte, das Spiegel Thema als Symbol der Spannung zwischen realem und visionärem Raum, das Antennen-Thema als Symbol des Leitendseins des Weltraums u. a. Im Schwellenjahr 1966 wird diese neue metaphysikalische Thematik in einer Wiederaufnahme der konstruktivistischen Periode der vor-fünfziger Jahre in "Weltall-Innenarum-Kinetik" Bildern überhöht. Durch die Zerlegung monumentaler Kreisformen in einzelne Segmente gerät der Bildraum so ins Schwingen, dass sich eine kreisende Bewegung ergibt, welche die Tiefe des Weltraums suggeriert. Am oberen und unteren Bildrand bannt je eine andersfarbige form mit Klammer-Charakter die Rotation in ein Kraftfeld, aus dem ein Ausbrechen unmöglich ist (s. Abb. Seite 15). Es ist bezeichnend, dass Ackermann einem dieser Bilder den (damals besonders aktuellen) Titel "Reise nach dem Mond" gegeben hat. Um die gleiche Zeit knüpft eine andere Serie an das alte Turm-Motiv an. Eine fanatische Bemühung um den "dynamischen Kontrapunkt" setzt ein, die bis in die letzten Lebenstage Ackermanns anhält.

Anstoß zu dieser neuen plakativen Malerei, in der die Räumlichkeit nach vorne weggenommen, nichts überschichtet ist und die Flächen in einer Art "Hard-Edge" klar nebeneinander stehen, gaben die neuen Acrylfarben. Was früher in Öl süß und kitschig wirkte, wenn man es gemalt hätte, gelingt nun mit diesem neuen Material. Ein neues Lebensgefühl setzt ein (1967). Jetzt, in diesen Farben, scheint alles erreichbar. Neue Hymnen an die Freude entstehen, hochformatige schmale Stelen, Mischung zwischen Bruckner und Einstein. Aber es sind keine völlig neuen Formen, alles ist vorgebildet im Werk der dreißiger Jahre. Es ist kein "up to date", kein billiges Anknüpfen an die Moderne, keine Vasarely-Beziehung. Hier war alles schon a priori, hier war alles schon grundgelegt. Was jetzt herausströmt ist nur die endgültige Erfüllung. Viele gleichformatige Bilder lassen sich zwanglos als Triptychon zusammenstellen, weil ein einheitlicher Geist sie beseelt, weil sie dieselbe Wellenlänge haben. Nur wir, die Beschauer, stehen noch mit schlecht abgestimmten Aufnahmegeräten vor diesen neuen Welten. Und Ackermann: Alles das durchgehalten durch eiserne Disziplin im Körperlichen und Humanen. Und alles das ohne die greifbare Aussicht auf Echo . . . Hier endet das Tafelbild. - Das Turm-Motiv wird ganz auf das Aufsteigen bezogen, also auf die Bewegung von unten nach oben. Ihr antwortet eine von oben nach unten wirkende tragende Komponente mit einer Art Karyatiden-Charakter. Diese entgegengesetzten Bewegungen, Dynamik und Statik, Ruf und Antwort der Formen (Kreis-Quadrat) pendeln sich gegeneinander aus. Es entsteht eine monumentale Ruhe, wie sie von indianischen Totemsäulen ausstrahlt. Diese Bilder der letzten Stufe Ackermanns müssen "gelesen" werden. In ihnen findet die "königliche Geometrie" seiner mittleren Epoche ihre Erfüllung.

Max Ackermann war nicht nur ein großer Künstler, sondern auch ein großer Intellekt und ein weiser und gütiger Mensch. Er war ein glänzender und schlagfertiger Gesprächspartner. Er hätte ein ebenso großer Schriftsteller werden können. Sein Stil (ich besitze weit über hundert Briefe von ihm) war voller Nuancen, ebenso angreifend wie zärtlich, ebenso heiter wie traurig, ebenso hymnisch wie zweifelnd. Noch im hohen Alter wirkte er unwahrscheinlich jung, er war auch zeitlebens von Jugend umringt. Friedrich Schiller hat in seiner berühmten Abhandlung "Über naive und sentimentalische Dichtung" (1795), die man auch rechtens auf den bildenden Künstler beziehen kann, den apodiktischen Satz geschrieben: "Der Dichter ist entweder Natur, oder er wird sie suchen. Jenes macht den naiven, dieses den sentimentalischen Dichter." Im Schillerschen Sinne war Ackermann ganz eindeutig (entgegen der Meinung von Ottomar Domnick) ein "sentimentalischer" Künstler. Das heißt einer, der, um weiter mit der nicht minder berühmten Abhandlung von Heinrich von Kleist "Über das Marionettentheater" zu sprechen, überzeugt war, wir "müssten wieder von dem Baum der Erkenntnis essen, um in den Stand der Unschuld zurückzufallen." Als ich Ackermann eines Tages auf diesen Kleistschen Aufsatz, den er dann eifrig studierte, hinwies, war er ebenso beeindruckt wie betroffen. Vielleicht sah er im Geist seinen Weg vom "fröhlichen" Bodensee-Ackermann zum "auf den Millimeter genau" abwägenden Kontrapunktiker vor sich. "Wir sehen", heißt es ja in diesem Aufsatz, "dass in dem Maße, als in der organischen Welt die Reflexion dunkler und schwächer wird, die Grazie darin immer strahlender und herrschender hervortritt. Doch so, wie sich der Durchschnitt zweier Linien, auf der einen Seite eines Punkts, nach dem Durchgang durch das Unendliche, plötzlich wieder auf der anderen Seite einfindet, oder das Bild des Hohlspiegels, nachdem es sich in das Unendliche entfernt hat, plötzlich wieder dicht vor uns tritt: so findet sich auch, wenn die Erkenntnis gleichsam durch ein Unendliches gegangen ist, die Grazie wieder ein . . ." Als Frucht solcher Unterhaltungen konnte ich z. B. zu einer solchen Bildinterpretation über ein "Spiegelbild" Ackermanns von 1953 kommen, wie ich sie in dem von mir herausgegebenen Ackermann-Buch auf S. 89 versucht habe. Der "sentimentalische" Ackermann musste die Natur erst suchen, er war reflektierend, er musste das Denken erst ins Unbewusste verdrängen, er w u ß t e das Bild, ehe er den ersten Pinselstrich tat. Damit zusammen hängt sein großes Wissen in der Kunstgeschichte. Ein Ausstellungsbesuch mit ihm war ebenso anstrengend wie gewinnbringend. Nie sah er ein Kunstwerk isoliert, immer wieder betonte er gegenüber vorschnellen Urteilen, man müsse das Kunstwerk aus der Zeit heraus sehen, in der es entstanden sei. Erst einmal bemühte er sich um die historische Gerechtigkeit des Urteils, dann erst begann er zögernd, sich der isolierten Schöpfung zu nähern. Damit zusammen hing sein Zorn, wenn er in einem Werk Zeichen einer frechen Nachahmung anderer Werke entdeckte. Er hielt es für ein Verbrechen, von außen her sich von den Primitiven "anregen" zu lassen. Als 1972 anlässlich der XX. Olympiade in München der epochale Ausstellungskatalog "Weltkulturen und moderne Kunst" erschien, in dem die Begegnung der europäischen Kunst im 19. und 20. Jahrhundert mit Asien, Afrika und Indo-Amerika an Hand erlauchter Beispiele auch gerade der deutschen Moderne in bildhafter Gegenüberstellung aufgezeigt wurde, schrieb der 85-jährige mir einen 10-seitigen Brief im Stil eines alten Rachegottes, folgerichtig darin selbst seinen lebenslang verehrten Abgott Paul Klee, wenn auch ungenannt, nicht schonend. "Nicht verdaute Form übernehmen und als Eigenes herausstellen, es kann nur Mischmasch, Halbheit sein und bar jeder reinen, in sich gestärkten und sprechenden Aussage . . ." "Das Buch, Weltkulturen und moderne Kunst' wimmelt von Trugschlüssen von Dilettanten. Zeigt alle auf, die keine Ganzheit in sich hatten, aber auch die Grade der Lumperei. Wer kann über dieses Thema zu Gericht sitzen? Eine Diskussion kann nicht sein. Was heißt hier "schöpferisch" tätig sein? Worte? Wer kann durch Taten Beweise bringen? Von hier aus kann das Werk werden, zu dem alle Menschen auf dieser Erde Zugang finden können. Das große Menschheitsthema wird dann von jedem Künstler hineinfließen. Es wird sein: Gott und sein Heil." Utopie, Hybris, Selbstverkennung, Missverständnis? Auf jeden Fall fruchtbarer Irrtum: "Was die Münchner in ihrem Buch machen, müsste umgekehrt gehen. Die Bildlehre Allgemeingut in allen Ländern. Alle bringen ureigenen Beitrag, alle zusammen nähern sich, ohne sich untereinander zu bestehlen . . ."

Max Ackermann hat es sich in seinem Leben nicht leicht gemacht. Sein Leben war seine Arbeit, nichts sonst. Er hat, noch einmal mit Kleist zu sprechen, vom Baum der Erkenntnis gegessen, um in den Stand der Unschuld zurückzufallen. Das Ergebnis ist sein künstlerisches Werk, nichts als sein Werk. In ihm, nur in ihm fand er sein Glück. Mit Husseiri kann man von ihm sagen:

Glücklich, wer ein metaphorisch Bild gewesen
Und erwacht zum wesenhaften Wesen.
Durch Vernichtung solchem ward gegeben
Das vernichtungslose Leben.



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Letzte Änderung: 20.11.2002 | Copyright: Max-Ackerman-Archiv

 

Zitat

"Ich male, was ich muß!"
Max Ackermann

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